LIEDER FÜR DEN SPÄTEN ABEND - das Booklet
Die deutsche Sprache klingt so ganz anders mit ihren vielen Konsonanten — widerständiger, bedeutender als die leicht dahinfließende, englische, in der sich Bilder von herzumarmender Bedeutungstiefe so mühelos klingend schmieden lassen. Auf deutsch klingt gern mal alles wie eine Anordnung, eine Unterweisung oder einfach nur bescheuert und trivial. Ich wollte aber unbedingt die Lässigkeit in den Liedern der Crooner des Great American Songbook in meine eigene Sprache tragen und war infiziert von Tony Bennett: in seinen Konzerten erzählt der Meister des conversational singing, dass ihn die Leute fragen, warum er keine neuen Songs auf die Bühne brächte. "Weil sie nicht so gut sind wie die alten" entgegnet er dann. Dieser Satz kitzelte mir fröhlich durch den Körper und ich hatte meinen Leitfaden für LIEDER FÜR DEN SPÄTEN ABEND.
Ein Gefühl der Dankbarkeit flechtet sich durch mein Leben. Ich bin ein Glückspilz, Gustav Gans ist ein ganz trauriger Vogel im Vergleich zu mir. Dass ich Musik machen darf und mein Leben davon finanzieren kann – unglaublich. Menschen geben mir Geld für etwas, das mir den größten Spaß macht. Und dieses Album wäre nicht in die Welt gewachsen, wenn inspirierende und vertrauensvolle Menschen nicht den Acker dafür bestellt hätten: Peter Stubbe danke ich für die Ermutigung und Unterstützung, Elisabeth Champollion für dauernde Inspiration, erhellende Gespräche und schließlich den Titel LIEDER FÜR DEN SPÄTEN ABEND. Peter Schulze, der meine Jugend schon so reich gemacht hat, weil er als Radio Bremen-Jazzchef Musiker wie Elvin Jones, McCoy Tyner, Charlie Haden, Sun Ra und viele mehr nach Bremen holte, deren Konzerte ich sehen durfte. Jetzt beschützt er den Sendesaal, in dem diese elf Lieder nach hause gekommen sind. Edith Jeske und Tobias Reitz, die beiden Missionare des deutschen Songtextes, bei denen ich lernte, auch nach dem zwanzigsten Entwurf noch zu feilen. Lindsay Lewis, die unglaubliche Gesangs-Schamanin, Dirk Hoppe, der universale Stimmbildungsexperte und Rabih Lahoud, dessen samtiger Bariton mir ein Vorklang ist.
ZWISCHEN GESTERN UND HEUTE
Zwischen gestern und heute
Ich gebe zu: am Anfang stand der Wunsch, dem verführerischen "What a difference a day makes" deutsche Worte zu schenken. Eines Nachts flog mir die Titelzeile zu und schmiegte sich liebevoll an die alte Melodie:
What a difference a day made, Zwischen gestern und heute
twenty-four little hours liegen zwei Dutzend Stunden.
brought the sun and the flowers Die sind jetzt überwunden,
where there used to be rain. neugebor'n lieg ich hier.
My yesterday was blue, dear. Und gestern war ich, glaub ich,
Today I'm a part of you, dear. noch ein kleines bisschen traurig.
My lonely nights are through, dear Heut ruf ich nur: "unglaublich,
since you said you were mine diese Stunden mit dir!"
What a difference a day makes, Zwischen gestern und heute
there's a rainbow before me. hab ich zu dir gefunden.
Skies above can't be stormy Hab noch nie Glück empfunden,
since that moment of bliss, that thrilling kiss, bis zu diesem Moment, der die Zeit trennt
it's heaven when you find romance on your menu in Jahre vor dir und die Jahre vor mir.
What a difference a day made Zwischen gestern und heute
And the difference is you. kam die Liebe mit dir.
Das macht Spaß und klingt ganz gut, ich hab es ein paar mal gesungen und der Romance-Faktor ist bei der Übertragung nicht verlorengegangen. Trotzdem wollte mir die vorletzte Zeile nicht so recht schmecken, mit ihrer sensationellen Doppelbedutung des Wortes "vor", dass einmal Vergangenheit und einmal Zukunft bedeutet.
Ich sehnte mich nach mehr Silben und schließlich nach einer neuen Melodie. Zum Glück kam sie vorbei:
Am Anfang schwillt ein jamesbondmäßiges Fummelmotiv langsam an und ab und die Bossanovagitarre von Johannes Gehlmann hypnotisiert einen schön in die Candlelight-Mood. Wer eine/n Geliebte/n bezirzen will, kann sich sogar hier die Noten kaufen und das Lied in einer intimen Stunde vorsäuseln:
ALS OB
In der Eisenbahn. Frisch duftendes Nachbeben einer aufregenden und romantischen Begegnung in aller Heimlichkeit eines Hamburger Hotels schwirren mir ein lusttrunkenes Lächeln ins Gesicht. Die Gespräche der Mitreisenden klingen wie salbende Wortwogen und das fahle Licht im alten Intercity wiegt mich durch die Nacht. In diesem Augenblick erscheint mir der Wunsch nach geordneten Verhältnissen mit dem wildrosigen Atem meines freien Lebens unvereinbar. Es klingt vielleicht ein bisschen stolz, aber ich fühlte mich komplett und gesund und frei wie sonst nur selten. Manche halten soetwas für Fake, weil sie der Meinung sind, dass sich wahre Liebe nur durch harte Beziehungsarbeit erfahren lässt. Ich weiß aber, es fühlt sich richtig an: echt, tief und verbindlich. So ist der Zweifel, der dem Titel innewohnt, auch gar nicht meiner in Wirklichkeit. Das ganze Lied ist also ein bisschen kokett. Wer möchte, kann das überhören und den Pathos heroischer Einsamkeit in der klassisch anmutenden Croonermelodie finden.
Als ob diese hungrig durchstreiften Nächte
irgendwem was brächten.
Als ob in rauschenden Romanzen,
durch die wir taumelnd tanzen,
in heimlichen Liaisons
der Hauch auch nur ner Chance wär,
Als ob, als ob, als ob.
Als ob diese ewigen Eskapaden
mehr wär'n als Maskeraden.
Als ob die Abendrot-Amouren,
durch die wir trunken touren,
weil Amor Sucht, nicht Sinn will,
mehr wär'n als ein Schwindel,
Als ob, als ob, als ob.
Doch ich weiß wo ich hingehör,
wenn mich der Blitz eines Lächelns trifft.
Bin ich dann wieder verliebt, weiß ich, dass es mich gibt,
dann tu ich so
als ob dieses traumhafte Liebestreiben
auf ewig lüd zum Bleiben,
als ob das Gleiten im Geheimen,
im schönsten aller Scheine,
umnachtet, nie alleine
sowas wie ein Heim wär,
als ob, als ob, als ob.
Als ob diese Sehnsucht nach der einen Gefährtin
für mich nicht existierte.
Als ob dieser Traum von dem Haus mit den Kleinen,
die im Schatten von Pflaumenbäumen
spielen, lachen und weinen,
als ob ich darin keinen Sinn fänd,
als ob ich mich daran nie gewöhnen könnt,
ich liebe weiter als Filou
ohne Garantie und tu so
als ob, als ob, als ob.
MITTWOCHS GEHÖRST DU MIR
Thomas Busch wirft "Im Traum gehörst du mir" ins digitale Lagerfeuer und Ramona Rosamunde schreibt: "Ich leg den Verstand beiseite". Die erste Idee kommt schnell vorbei:
Jetzt sitz ich wieder mittags im Hotelbarfoyer
wie vereinbart bin ich da.
Ich lege den Verstand beiseite
und bestell noch einen Pinot noir.
SMS von dir, du kannst heut bis um Vier.
Heut ist Mittwoch, heut gehörst du mir.
Du kommst heimlich her, weil niemand von uns wissen darf
dein Geheimnis ist mir Heimatland.
ich singe im Lied deiner Begierde
die zweite Stimme, vom Bass bis zum Diskant.
Gleich gehn wir wieder hoch auf Drei Null Vier.
heut ist Mittwoch, heut gehörst du mir.
Jetzt kommst du auf mich zu in diesem langen Korridor,
das Stakkato deiner Schritte wird langsam schnell,
gleich nehmen wir uns für ein paar Stunden alle Zeit der Welt.
Vielleicht wird deine Bluse auf der Nachttischlampe liegen,
sie färbt den Raum glutrot.
Und du duftest wie Hölle und Honig,
im Klang der Stille nach der Explosion.
Die nächsten Tage sind wir satt und reserviert,
bis Mittwoch, dann wird aus Hunger Gier.
Nächste Woche sind wir wieder hier,
dann ist Mittwoch, dann gehörst du mir.