SKLAVIN ISABELLA
(Ein Tag ein Lied, 2015)

Heiligabend, kein Kerzenschein. 
Im fahlen Licht des Bildschirms 
starrt sie in die Weiten ihrer Sehnsucht 
und sucht, wonach sie sehnt. 
Da blinkt ein Umschlag und sie klickt. 

Er nennt sich “Grand Monsieur”, 
sie träumt vom Pas de deux 
mit ihm in Ohnmacht und Verlangen 
im wollusthimmelstiefen Keller, 
sie nennt sich Sklavin Isabella. 

Sie hat fast jede Nacht 
vorm Bildschirm zugebracht. 
heute wieder mit bebenden Rippen 
und nervöse Finger tippen 
ein flehendes Sonett 
in den Sklavenhandel-Chat. 

Wenn einer weich ist, bleibt sie hart, 
weil es nur dann für sie auch stimmt, 
wenn einer kalt ist und nicht fragt 
und auch nicht zweifelt, sondern nimmt. 
Wie eine lyrische Berührung 
sind für sie Befehl und Führung 
Weil sie in Freudentränen badet, 
wenn ihr einer kunstvoll schadet, 
und die Liebe zu ihr spricht, 
wenn es wehtut, quält und sticht. 

Die Weihnachtsnacht ist um, 
doch Grand Monsieur bleibt stumm, 
er liest sie nicht, die wunden Zeilen. 
und sie hält sehr viel aus im Spiel, 
doch garnichts ist ihr viel zuviel.